FLUGBLATT ZUM 1. MAI 2008
Keine Gewalt?
Um das gleich vorwegzunehmen, wir finden Gewalt auch scheisse. Von den Aufrufen gegen Gewalt, wie sie jeweils um den 1. Mai zu hören sind, halten wir trotzdem nicht viel. Warum, könnt ihr hier lesen:
Erlaubte verbotene Gewalt
Jeden 1. Mai ist es in etwa dasselbe Spektakel. Nachdem wieder einige Steine oder Flaschen auf Polizisten geflogen sind, geht ein grosses Gejammer durch die Politiklandschaft, als geschähe während des ganzen Jahres nichts übleres und von SVP bis SP überbietet man sich in Forderungen der Gewalt ein Ende zu bereiten. Doch trotz dieses Spektakels sind wir der Meinung, dass keiner dieser Regierungsparteien ernsthaft ein Problem mit Gewalt hat. Die SVP beispielsweise schreibt in ihrem Positionspapier zur Jugendgewalt: „Gewalt dürfe auf keinen Fall toleriert werden.“ Einige Seiten weiter fordert sie jedoch als Massnahmen gegen die Jugendgewalt Gefängnisstrafen und Ausschaffungen. Seltsam, ist es denn keine Gewalt jemanden gegen seinen Willen mit Waffen in einem Gebäude festzuhalten? Oder bewaffnete Polizisten und Sicherheitsleute jemanden fesseln zu lassen und gegen seinen Willen in ein anderes Land zu verfrachten? Eine Antwort darauf lässt sich an einer anderen Stelle innerhalb dieses Papiers finden, dort heisst es nämlich, man müsse, um „die Ordnung und Disziplin innerhalb der Klassenzimmer aufrechtzuerhalten, die Möglichkeit haben, die Schüler der polizeilichen Ordnungsgewalt zu überstellen.“
So läuft das also. Man ist gegen das Tolerieren von Gewalt, solange diese von Jugendlichen, Hooligans oder sogenannten Chaoten ausgeübt wird und man ist für Gewalt solange diese von der „polizeilichen Ordnungsgewalt“ ausgeführt wird. Das ist übrigens keine Eigenart der SVP, diese Haltung hat System. Wenn von Jugendgewalt die Rede ist, kommt kein Mensch auf die Idee, hier die Gewalt von jungen Polizisten dazu zu zählen. Das liegt daran, dass die Gewalt der Polizei oder anders gesagt die Gewalt des Staates, die Staatsgewalt, als selbstverständlich angesehen wird. Mit dieser Gewalt haben die Wenigsten ein Problem. Ein Problem mit Gewalt haben die Meisten sogenannten Gewaltkritiker nur, wenn die Gewalt von Leuten ausgeht, die nicht zufälligerweise Polizist sind, sondern eben bloss Jugendliche, die sich austoben. Das gilt vor allem auch für den Staat selbst. Er besitzt ja selbst genügend Einrichtungen, die nur dafür da sind, Gewalt auszuüben, (Polizei, Gefängnisse, Armee, Gerichte, Grenzwächter, Geheimdienste etc.) hat also an sich überhaupt nichts gegen Gewalt. Nur gegen Gewalt die nicht von ihm, sondern von unbefugten Privatpersonen ausgeht.
Die Gewalt des Staates ist übrigens kein Ausnahmefall, wie die Jugendgewalt an den Wochenenden oder die Schlägereien an Fussballspielen. Sie ist allgegenwärtig. Wer uns das nicht glaubt, der soll einmal in ein Kaufhaus gehen und die Tüte mit den Lebensmitteln einfach ohne zu bezahlen an der Kasse vorbei tragen. Eben. Da kommt die Polizei und die nimmt einem das Zeug mit Gewalt ab, steckt einem mit Gewalt in einen Polizeiwagen, hält einem anschliessend mit Gewalt auf dem Polizeiposten fest und zwingt einem mit Gewalt, eine ordentliche Busse zu bezahlen.
Warum das Ganze?
Viele werden jetzt denken, die Staatsgewalt sei vielleicht nicht besonders toll aber notwendig, weil jemand für Recht und Ordnung sorgen müsse, sonst würde unsere Gesellschaft zusammenbrechen. Das denken wir auch. Unsere Gesellschaft würde ohne massive Polizeipräsenz und vollgestopfte Gefängnisse tatsächlich zusammenbrechen. Denn in unserer Gesellschaft kracht es an allen Ecken und Enden. Das kommt daher, dass unsere Gesellschaft auf Widersprüchen aufgebaut ist. Nicht nur auf kleinen, wie sie in jeder Familie oder WG vorkommen, sondern auf grundlegenden. Die Einen besitzen alles, die Anderen beinahe nichts. Werden einerseits Menschen entlassen, steigen andererseits die Aktienkurse der Unternehmen. Die Einen hätten gerne mehr Ferien, die Anderen würden die Menschen gerne noch länger arbeiten lassen, um noch mehr Profit zu erzielen. Firmen treiben sich gegenseitig in den Ruin und Menschen, die an sich nichts gegeneinander hätten, müssen gegeneinander um Arbeitsplätze und Beförderungen konkurrieren.
In einer Gesellschaft die auf Konkurrenz und massiver sozialer Ungerechtigkeit aufgebaut ist, ist es kein Wunder, dass ein riesiger Gewaltapparat notwendig ist, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Wenn es Menschen gibt, die einfach nie ein anständiges Einkommen haben, ist es klar, dass die sich andere Mittel suchen werden um über die Runden zu kommen. Wenn man die Leute ständig gegeneinander aufhetzt und sie in der Konkurrenz gegeneinander ausspielt, ist es kein Wunder, dass dauernd jemand ausrastet. Wenn die Einen in Villen leben und die Anderen die Miete nicht mehr bezahlen können, dann brechen die Einen halt bei den Anderen ein, um einigermassen leben zu können. Und wenn man eine Wirtschaftsweise hat, in der es nur aufs Profitmachen ankommt, dann wird der Profit eben auch mit allen Mitteln gemacht, ob mit Menschenschmuggel, Drogenverkäufen oder Prostitution.
Solange unsere Gesellschaft so aufgebaut ist, darf sich niemand wundern, wenn Gewalt und Verbrechen vorkommen. Solange Demos verboten werden und die Polizei auf Demonstranten einschlägt, solange Menschen einsperrt werden, weil sie klauen müssen, um durchs Leben kommen, solange Leute in Abschiebeknäste gesteckt und ausgeschafft werden, weil sie keine oder die falschen Papiere haben, solange werden wir auch garantiert nicht heulen, wenn die eine oder andere Flasche auf einen gepanzerten Polizisten fliegt.
Was wir wollen ist ein gutes Leben für alle. Wir wollen Perspektiven. Perspektiven, die anders aussehen als Arbeitslosigkeit oder 40-Stunden die Woche für die Bonzen zu schuften und mit 70 keine Rente mehr zu haben. Eine Gesellschaft, in der nicht nur die Wenigsten vom Reichtum profitieren, sondern alle. Schön wärs, wenn das auf friedlichem Weg zu erreichen wäre. Leider hat sich in der Geschichte jedoch immer wieder gezeigt, dass gegen Bewegungen die wirklich etwas verändern wollen, oft äusserst brutal vorgegangen wird. In der Geschichte finden sich unzählige Beispiele, wie die 80er Jugendbewegung in Zürich, gegen die die Polizei mit offener Gewalt reagierte oder der G8-Gipfel in Genua 2001, bei dem der Aktivist Carlo Giuliani erschossen wurde. Gerade kürzlich wurden in Spanien duzende Jugendliche zu über zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie einer linken Jugendorganisation angehören. Darum finden wir es nicht nur berechtigt, sondern auch wichtig, sich wehren zu können. Auch wenn dafür manchmal etwas mehr nötig ist als Lichterketten.
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